Georg Büchners 1836 entstandenes Werk Woyzeck ist bis zum frühen Tode des Autors ein Dramenfragment geblieben und kann aus diesem und weiteren auszuführenden Gründen nur schwer einer einzelnen Epoche zugeordnet. Geht man nur nach der Entstehungszeit, hat man es mit einem Stück des Vormärz zu tun, einer Zeitströmung also, in der es darum ging, sich politisch zu engagieren und der Restauration entgegenzustellen, die nach den Umbrüchen der Französischen Revolution für viele Deutsche eine herbe Enttäuschung war. Der Anspruch Büchners scheint aber auch jenseits des Politischen zu bewegen und man darf bei einem Versuch der Einordnung keinesfalls vergessen, dass gerade er immer als ein Autor gesehen wird, der seiner Zeit weit voraus war und die menschliche Psyche und das Elend in einer Form darstellte, wie sie eigentlich erst im Rahmen des Naturalismus, also gegen Ende des 19. Jahrhunderts, aktuell wurde. Auch in den Realismus, der auf die Zeit des Vormärz folgte, kann Büchners Werk inklusive des Dramenfragments Woyzeck nur in gewissem Maße eingeordnet werden.
Typisch für diese Strömung, der beispielsweise die Werke Theodor Fontanes eindeutig zuzuordnen sind, ist die Formel „Kunst = Natur + x“, nach der die Natur in der Schriftstellerei in literarisch abgewandelter Form dargeboten werden soll. Büchner hat jedoch die Klassenunterschiede und die Verzweiflung an der „conditio humana“ sehr deutlich und ungeschönt in seinem Drama dargestellt, so dass wir uns hier erneut dem Naturalismus annähern, der sich bemüht, das „x“ der genannten Formel möglichst gegen Null gehen zu lassen.
Der politische Anspruch Büchners
Andererseits war Büchner beispielsweise als Autor des „Hessischen Landboten“ durchaus in der Form politisch aktiv, dass er sich gegen die Abhängigkeit von den höheren Schichten und gegen die Politik der Restauration wandte. Gerade diese Einstellung kommt in Woyzeck sehr stark zu tragen, da der Protagonist eindeutig ein Opfer von armseligen Verhältnissen ist, in denen er dem Zwang unterliegt, den Lebensunterhalt für Frau und Sohn mit erniedrigenden Gelegenheitsjobs herbeizuschaffen (Pauperismus).
Die sehr grundlegende Frage nach den Motiven, die einen Menschen zum Mörder werden lassen, wird mit der Kritik an althergebrachten Gesellschaftsmodellen unterfüttert, so dass sich das Fragment an einem Grenzbereich zwischen Individuum (Psyche) und Gesellschaftskritik bewegt. Es gibt somit zeitliche und kontextuelle Gesichtspunkte, die eine Einordnung plausibel machen, man sollte sich bei der Interpretation dieses Textes jedoch stets bemühen, diese Einordnung auch zu problematisieren. Natürlich kann man hier auch ganz allgemein darauf verweisen, dass der Epochenbegriff immer eine Abstraktion ist und es zu jeder Zeit Künstler gab, die schwer einzuordnen oder eben ihrer Zeit voraus waren.
Woyzeck als ein Werk des Vormärz?
Zusammenfassend kann man sagen, dass man den Woyzeck auf Grund seiner Entstehungszeit zwischen dem Wiener Kongress und der Märzrevolution, sowie wegen des formulierten politischen Anspruchs und des Bewusstseins sozialer Probleme als Werk des Vormärz betrachten kann. Gerade Büchner hat aber die Epochengrenzen dadurch gesprengt, dass er Ideen des Realismus und des Naturalismus vorweggenommen und in seiner kurzen Lebenszeit ein erstaunliches literarisches Innovationspotential bewiesen hat. Diese Besonderheit sollte man ihm bei allen Einordnungsversuchen nicht absprechen und die Gelegenheit nutzen, sich Gedanken über die Prozesse zu machen, die der Festlegung von Epochen- und Gattungsgrenzen zugrunde liegen.
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