Das Dichten – eine besondere Gestaltung der Sprache
Der Genuss beim Dichten ist die Freiheit seiner Kreativität nach Herzenslust freies Spiel zu lassen. Da hat man die Möglichkeit, alles aus der Sprache herauszuholen, was sie uns bietet. Dank der Unbeschränktheit in der Ausdrucksweise und im Denken hat uns so mancher Lyriker mit seinen Werken in den Bann gezogen. Sie haben eine geheimnisvolle Wirkung auf den Leser/Zuhörer. Das ist gewiss damit verbunden, dass in einem Gedicht die Stimmung des Augenblicks zum Ausdruck gebracht wird. Deshalb faszinieren sie uns Hunderte, sogar Tausende Jahre später gleichermaßen.
Charakteristika eines Gedichts
Ein Gedicht schreiben kann wahre Freude bereiten, denn anders als bei einem Text entscheidet man selber, wo die neue Zeile beginnt. Es bedarf weniger Worte und das Augenmerk richtet man aufs Wesentliche. Es wird in kurzen Zeilen (Versen) zusammengefasst. Mehrere Versen bilden eine Strophe.
Gedichte gibt es in zahlreichen Formen beispielsweise als Sonett, Romanze, Volkslied oder Ode. Die Gedichtzeilen müssen keineswegs gereimt sein und offene Gliederungen stellen ebenso keine Seltenheit da.
In Gedichten sind viele rhetorische Stilmittel wie Metaphern, Vergleiche, Reime, Wiederholungen oder Symbole vorzufinden. Poeten bedienen sich an sprachlichen Bildern, um Gefühlsregungen, Verlangen und Geschehnisse zum Ausdruck zu bringen.
Beispiel:
Sonett 61
Gepriesen sei das erste süße Bangen,
das mich ergriff, als Amor sich zu mir gesellte,
der Bogen und die Pfeile, die mich trafen,
und die Wunden, die sie ins Herz mir schlugen;
(Francesco Petrarca – „Liebesgedichte an Laura“)
Die Bedeutung eines Parallelgedichts
Ein Parallelgedicht ist ein eigenes Gedicht, welches sich in der Form an ein anderes, berühmtes Gedicht anlehnt. Die Wörter eines beliebigen Gedichtes werden ersetzt, wobei die Silbenanzahl, die Gliederung und der Reim (falls vorhanden) nach Möglichkeit beibehalten bleiben.
Empfehlenswert wäre, die vom Dichter angewandten Ausdrucksmittel in das Parallelgedicht mit einzubeziehen. Handelt es sich beim Ursprungsgedicht um eine Reimform, dann sollte diese ebenso im Parallelgedicht zu finden sein. Die Gesamtzahl der Verse und Abschnitte, die Länge der einzelnen Zeilen und die Satzzeichen bleiben – wenn möglich identisch.
Beispiel:
Heinrich Heine – Sammlung „Neuer Frühling“
Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied,
Kling hinaus ins Weite.
Hier reimt sich der 1. Vers „Gemüt“ auf den 3. „Frühlingslied“ und der 2. Vers „Geläute“ auf den 4. „Weite„.
Beispiel für ein Parallelgedicht:
Sachte ruht in meiner Seele
anmutiger Gesang.
Klinge, kleine Sangkehle,
kling hinaus zum Hang.
Bei einem Parallelgedicht ist es ausschlaggebend, dass die Wörter des Originals so ausgetauscht sind, dass das Parallelgedicht einen Sinn aufweist.
Es ist durchaus möglich, mit dem Parallelgedicht eine Antwort oder Frage des ursprünglichen Gedichts aufzuzeigen. Im Parallelgedicht sollte man dieselbe Thematik bearbeiten, wie dies im Original der Fall ist. Dennoch kann dieses Thema aus einer vollkommen anderen Perspektive dargestellt werden. Handelt es sich in einem Gedicht um eine unerwiderte Liebe, dann darf es im Parallelgedicht das genaue Gegenteil sein.
Beispiel:
Erich Kästner – „Sachliche Romanze“
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Parallelgedicht: „Die wahre Romanze“
Glücklich waren sie, verliebt und treu,
sie liebten sich innig, es gab nur sie zwei,
und träumten von Zukunft ohne Scheu.
Dann sahen sie sich an und wussten: Sie sind frei.
Während des Dichtens wird einem bewusst, wie delikat es sein kann, ein ausdrucksvolles Gedicht zu formulieren und dabei die gegebenen Merkmale einzuhalten.
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