Interpretation der Karikatur „Der Reichstag wird eingesargt“ – Beispiel

In der Geschichtswissenschaft wird man gerne mit Karikaturen konfrontiert. Die Zeichen zu erkennen, die Komplexität dahinter herauszuholen und zu interpretieren. Darum geht es immer wieder und es ist auch wichtig, will man den Gehalt einer solchen eigentlich simplen Zeichnung im Vollumfang der geschichtlichen Verhältnisse verstehen. Und so ist es auch mit der Karikatur „Der Reichstag wird eingesargt“ von 1932.

Analyse

Auf dem Bild ist im Zentrum ein Reichstagsgebäude zu sehen, das in einem Sarg steht, eine Person will gerade den Deckel auf diesen Reichstag legen und damit den Sarg schließen. Auf dem Deckel steht „Artikel 48“. Um den Sarg herum liegen Blumen und eine Schleife in (so lässt auch das Schwarz-weiß-Bild vermuten) schwarz-rot-gold, wo SPD drauf zu lesen ist. Die Karikatur ist beschrieben mit „Der Reichstag wird eingesargt“ und stammt aus dem Jahre 1932.

Interpretation

Der Sarg steht für den Tod. Für etwas, was nicht stirbt, sondern schon längst gestorben ist und es soll nun beerdigt und damit – man würde es so nie nennen – beseitigt.

Der Reichstag als Parlament der ersten deutschen Demokratie steht eben für jene. Für die Demokratie, die Debatte, die Freiheit, die Rechtstaatlichkeit. Kein anderes Gebäude hat wohl für die deutsche Demokratie so einen Stellenwert, damals wie heute. Damit wird also gezeigt, dass die Demokratie gestorben ist und nun zu Grabe getragen wird.

Auf dem Sargdeckel steht „Artikel 48“. Dieser Artikel der Weimarer Reichsverfassung beschreibt die Befugnis des Reichspräsidenten, mit Notverordnungen zu regieren, sollte es zu einem Ausnahmezustand kommen. Damit wird die Regierung unabhängig vom Parlament und kann ohne Mehrheit regieren. Und mit diesem Artikel 48 wird symbolisch der Tod der Demokratie besiegelt und endgültig gemacht, regelrecht beschlossen. Die Hände und Arme, die den Sargdeckel senken, könnten dem damaligen Reichspräsidenten Hindenburg gehören, aber das ist spekulativ, da man das Gesicht nicht sieht.

Vor dem Sarg liegen Blumen. Blumen und eine Schleife in Schwarz-Rot-Gold. Diese Farben waren immer die Farben der Freiheit, des demokratischen Deutschlands und sollen zeigen, dass nur die Demokraten um die Demokratie trauern. Und nicht mal alle Demokraten.

Die SPD ist die einzige Partei, die auf dem Band verewigt ist und das passt zu den historischen Gegebenheiten, denn die SPD war von Anfang bis Ende der Jahre der Weimarer Republik Verteidiger und Verfechter eben jener Republik und wollten sie retten, bewahren, weiterentwickeln. Nun steht die SPD alleine da und trauert als einzige um die Republik und alle anderen Parteien können nach der Karikatur wohl ganz gut damit leben, dass der Reichstag an Bedeutung verliert, fast bedeutungslos wird und damit die Demokratie gestorben ist.

Abschlussbetrachtung

Die Demokratie wurde durch die Notverordnungen des Reichspräsidenten Hindenburg schon lange vor dem 30. Januar 1933 vernichtet, es war eine Demokratie ohne Demokraten, wie die Schleife vor dem Sarg noch mal nahelegt, und den Zeitzeugen muss es bewusst gewesen sein, zumindest demjenigen, der diese Karikatur ersonnen hat. Die Montage zeigt, dass Hitler nicht die Demokraten überwältigt hat, sondern dass der Weg zum Nationalsozialismus durch andere bereitet wurde und dass teilweise die Weimarer Reichsverfassung das auch ermöglicht hat, indem sie dem Reichspräsidenten eine umfassende Vollmacht zuschreiben konnte.

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