2005 erschien Christoph Heins Roman »In seiner frühen Kindheit ein Garten«
Ausgangslage
Ein Vater will die wahren Gründe für den Tod seines Sohnes herausfinden, der wegen der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung von der Polizei gesucht wurde, verhaftet werden sollte und dabei zu Tode kam. Der Vater, ehemals Direktor eines Gymnasiums, will herausfinden, ob die Todesursache Selbstmord war oder ein Schuss aus der Waffe eines Polizisten. Er verzweifelt an der Vorstellung, am Tod des Sohnes eine Mitschuld zu tragen. Nur so kann er zur Ruhe kommen und mit dem Ereignis abschließen, denn er stellt er sich selber und seine Grundüberzeugungen unablässig infrage.
Handlungsablauf
Die Erzählung setzt im Sommer 1998 ein. Richard Zurek, Direktor eines Gymnasiums in Pension, dessen Gewohnheit es ist, jeden Abend das Uhrwerk aufzuziehen und eine Nachrichtensendung zu sehen, ist nicht in seinem Haus in einer kleinen Stadt in der Nähe von Wiesbaden. Oliver, sein Sohn, so wird dem Leser schnell klar, ist vor fünf Jahren ums Leben gekommen, als er von der Polizei festgenommen werden sollte. Er wurde als Terrorist gesucht. Sein Vater ist auf der Suche nach dem wahren Ablauf des tödlichen Ereignisses, schreibt Briefe, sammelt Zeitungsberichte und Indizien, in einem neuen Versuch, erfolgreich Anklage gegen die Bundesrepublik Deutschland zu erheben.
Zusammen mit seiner Frau, Friederike reist er nach Bad Kleinen, wo der Sohn starb.
Ein Rückblick versetzt den Leser in die Zeit des tödlichen Ereignisses. Beamte des Grenzschutzes wollen Oliver und seine ebenfalls des Terrorismus beschuldigten Freunde Katharina Blumenschläger und Bernd Emmerling festnehmen. Die Medien berichten, Oliver habe den Polizisten erschossen und sei dabei selbst verletzt worden, sodass er noch auf dem Weg ins Krankenhaus den Verletzungen erlegen sei.
Nur wenig später tauchen Freunde von Oliver bei den Eltern auf. Karin Gloedel, die glaubt, dass Oliver von der Polizei ermordet wurde, erscheint zusammen mit Gerd Schmückle und einem Rechtsanwalt namens Feuchtenberger. Die gerichtsmedizinische Untersuchung hat gezeigt, dass es mit Sicherheit kein Selbstmord war. Auch sei der Polizist nicht durch eine Kugel aus Olivers Waffe getötet worden sein. Emmerling, so stellt sich heraus, sei aber verdeckt für den Verfassungsschutz tätig gewesen. Der Innenminister tritt daraufhin zurück, der Generalbundesanwalt geht frühzeitig in den Ruhestand. Emmerling, so stellt sich heraus, war verdeckt für den Verfassungsschutz im Einsatz.
Oliver Schwester Christin glaubt im Unterschied zu den Eltern an die Schuld des Bruders.
Als Christin in den Staatsdienst eingetreten ist, hat sie – genau wie auch ihr Vater – einen Beamteneid auf die Verfassung geleistet. Ihr Bruder aber war ein erklärter Systemgegner. Der jüngere Bruder Heiner war in Olivers Pläne, in den bewaffneten Kampf und in den Untergrund zu gehen, eingeweiht. Oliver ließ sich aber von Heiner das Versprechen geben, dass er ihm nicht folgen würde, sondern für die Eltern sorgen würde.
Trotz der Widersprüche in den Gutachten und den Aussagen der Zeugen steht offiziell fest, dass Oliver Mörder und Selbstmörder war, als seine Leiche nach der Freigabe am 30. Juli 1993 beigesetzt wird. Keine sieben Monate vergehen nach der Bestattung des Toten, bis die Ermittlungen eingestellt werden. Zureks Anwalt legt daraufhin eine Beschwerde ein. Auch als diese zurückgewiesen wird, lässt sich Zurek nicht entmutigen und wiederholt seine schriftlichen Anfragen beim Minister und Generalbundesanwalt.
Unterbrochen wird der Handlungsverlauf durch einen Rückblick: Die Eltern erinnern sich an ihre letzte Reise in den Schwarzwald und an ihre erste Begegnung erinnern. Zurek bezweifelt gegenüber seiner Frau, je ein guter Lehrer gewesen zu sein. Obwohl Friederike ihn beruhigt, sind Zureks gefestigte Wertvorstellungen endgültig ins Wanken gekommen.
Die in Haft sitzende Katharina Blumenschläger dürfen die Eltern Zureks nicht besuchen und auch auf seine Briefe erhält Zurek keine Reaktion.
Im Oktober 1994 besucht Zurek seinen Freund Lutz Immenfeld, mit dem er zur Schule gegangen ist. Beide sind sich einig, es sei legitim, gegen einen Staat vorzugehen, dem Eigeninteressen wichtiger seien als Recht und Gerechtigkeit.
Katharina Blumenschläger schreibt etwa zeitgleich aus dem Gefängnis, dass sie eine Kehrtwendung vollzogen habe. Sie sehe nun ein, dass sie durch ihre ideologisch verblendeten Taten selbst eine Unmenschlichkeit erzeugt habe, gegen die sie eigentlich hatte angehen wollen.
Im November trifft Zurek seine frühere Liebschaft Susanne Parlitzke und verbringt im Anschluss den Heiligabend zusammen mit Heiner und seiner Frau Friederike. Sie verbringen einen Abend in der Frankfurter Oper. Als Zurek im Januar 1995 seinen 73. Geburtstag feiert, hat sich die familiäre Situation scheinbar entspannt. In einer Unterhaltung zwischen Zurek und seiner Tochter Christin wird aber offensichtlich, dass die Fronten weiter verhärtet sind. Christin meint, dass Olivers Lektüre und sein Freundeskreis ihn negativ beeinflusst hätten. Sie setzt sich vehement für die Demokratie ein, während ihr Vater der Auffassung ist, dass erst die ungerechtfertigten Anschuldigungen, wegen denen Oliver 1984 vorübergehend in Untersuchungshaft saß, ausschlaggebend für dessen Radikalisierung und das endgültige Abtauchen in den Untergrund im Mai 1985 gewesen wären.
Parallel zum Prozessauftakt gegen Katharina Blumenschläger wird Zureks Beschwerde bezüglich des eingestellten Ermittlungsverfahrens abgewiesen. Katharina wird 1997 zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt.
Zureks Schulfreund Immenfeld macht den Vorschlag, die Beerdigungskosten für Olivers Begräbnis von der Bundesrepublik einzuklagen. Damit könne sein Vater ein Schuldeingeständnis des Staates oder eine Wiederaufnahme des Gerichtsprozesses erzwingen. Das Anliegen kommt zwar 1998 in Bonn zur Verhandlung, die Klage wird aber zurückgewiesen. Das Gericht verweist auf den Mangel an Beweisen, sodass auch Olivers Schuld indirekt als nicht endgültig bewiesen gilt.
Darauf teilt Zurek am 23.10.1998 seinen ehemaligen Kollegen und Schülern mit, dass er den von ihm geleisteten Eid widerrufen will.
An diesem Punkt schließt sich der Kreis der Erzählung. Anstatt das Uhrwerk aufzuziehen und die Nachrichten zu sehen, beschenkt Zurek seine Frau mit Rosen und führt sie zum Abendessen aus.
Einordnung
Den historischen Hintergrund zu Christoph Heins Roman bilden die Vorgänge um den Tod des RAF-Terroristen Wolfgang Grams. Christoph Hein geht bei der Erzählung zwar chronistisch vor und bewahrt eine neutrale Distanz, versucht aber nicht, eine endgültige Erklärung dafür zu finden, wie es zum Tod des Terroristen kam. Sein Roman verfolgt das Ziel, nachzuvollziehen, wie sich ein Staat oder eine Gesellschaft entwickeln, in der Verantwortlichkeiten offen bleiben oder abgetreten werden, bis dass sie niemanden mehr zu etwas verpflichtet sieht. Der Autor ergreift keine Partei. Er schildert vielmehr, wie sich die Antagonisten, Rechtsstaat und Terroristen, in ihrer Auseinandersetzung auf alarmierende Weise zu ähneln beginnen.
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