Kurz zusammengefasst handelt es sich bei der Novelle „Bahnwärter Thiel“, verfasst von Gerhard Hauptmann im Jahre 1888, um die tragische Geschichte des Bahnwärters Thiel, der über das Ableben seines in erster Ehe geborenen Sohnes nicht hinweg kommt und schließlich in geistiger Verwirrung selbst tötet. Schauplätze der Geschichte sind der Ort Schön-Schornstein sowie das Bahnwärterhäuschen zwischen den Städten Berlin und Frankfurt/Oder, wo Thiel seiner Arbeit nachgeht.
Seit 10 Jahren schon verrichtet der Bahnwärter Thiel brav und zuverlässig seine Aufgabe. Seine Ruhe wird jäh gestört, als unerwartet seine Frau Minna zu Tode kommt. So bleibt er mit dem gemeinsamen Sohn Tobias alleine.
Etwa ein Jahr später feiert er erneut Hochzeit, dieses Mal mit der Magd Lene, einer dominanten und übergewichtigen Frau. Dies geschieht nicht aus Liebe, sondern weil Tobias eine Mutter haben soll. Bald schon wird ein weiteres Kind geboren, das rasch zum Zentrum Lenes Interesse wird. Tobias gerät zunehmend in den Hintergrund.
Auch Thiel gerät zunehmend unter Lenes starken Einfluss. Er kommt nicht gegen sie an und verliert die Position des Familienoberhaupts. Selbst nach der Erkenntnis, dass Tobias unter Misshandlungen zu leiden hat, kann er sich nicht aufraffen, gegen seine Frau aufzubegehren. Zu stark sind seine körperlichen und seelischen Abhängigkeiten ihr gegenüber. Doch ist er sich seiner Verpflichtung gegenüber seiner verstorbenen Frau bewusst. Ihr schwor er, auf Tobias zu achten. Diese Schuld belastet ihn immer mehr.
Um dieser Seelenqual zu entkommen, schafft sich Thiel seine eigene Traumwelt, in der auch seine frühere Frau Minna eine zunehmende Rolle spielt. Diese Einbildungen spielen auch an seinem Arbeitsplatz immer mehr eine Rolle, er entwickelt eine Geistesstörung.
Später erhält Thiel an seinem Häuschen eine Grundstücksfläche zur eigenen Nutzung. Zu Thieles Missfallen okkupiert Lene diese unverzüglich und pflanzt Kartoffeln an. Wie schon zuvor, ist er auch hier nicht in der Lage, sein berufliches Umfeld gegen seine Frau zu verteidigen. So macht sich die ganze Familie auf den Weg zum Wärterhäuschen, wo sich Thiel Zeit für seinen älteren Sohn nimmt und mit diesem spazieren geht. Die Eindrücke lassen in Tobias den Wunsch entstehen, ebenfalls später als Bahnmeister tätig zu werden, was seinen Vater mit Stolz erfüllt. Nachmittags ist dieser wieder zum Dienst verpflichtet, daher sollte Lene auf den Jungen Acht geben.
Als ein Schnellzug herankommt, beginnt dieser eine Notbremsung und gibt Signal. Sofort rennt Thiel herbei und muss erkennen, dass Tobias vom Zug erfasst und zur Seite geschleudert wurde. Rasch wird der Schwerverletzte auf einer Trage zur nächstgelegenen Krankenstation transportiert.
Beinahe von Sinnen muss sich Thiel wieder seiner Tätigkeit widmen, sucht aber Zuflucht in seiner Phantasiewelt. Hier begegnet er seiner verstorbenen Frau und schwört Rache. Glaubt er doch die Schuld für den Unfall bei Lene zu finden, die auf seinen Sohn hätte achten sollen. In diesen Hass steigert er sich immer weiter, bis sein Baby zu weinen beginnt und er dieses anfängt zu würgen.
Da wird er plötzlich durch die Eisenbahn in die Realität zurückgerissen, die seinen Sohn wiederbringt.
Er muss zusehen, wie Lene aus dem hintersten Waggon steigt, aus dem auch sein toter Sohn getragen wird. Dies lässt ihm die Sinne schwinden, so wird er von den Arbeitern heimgebracht. Später sollte dann die Leiche von Tobias geholt werden. Lene kümmert sich inzwischen sorgsam um Thiel, ehe sie selbst vor Erschöpfung einschlummert. Nach mehreren Stunden schließlich bringen die Arbeiter auch den toten Tobias herbei und müssen bei der Gelegenheit die erschlagene Lene sowie das Baby mit durchschnittener Kehle vorfinden.
Thiel selbst ist nicht anwesend. Erst später findet man ihn, wo der Unfall geschah, auf den Gleisen sitzend und die Mütze seines Sohnes streichelnd. Er kommt in die Irrenanstalt der Charité.
Interpretationsansatz
Die Geschichte dieser Novelle „Bahnwärter Thiel“ ist ein starkes Beispiel für die psychische Abhängigkeit unter verbundenen Menschen und wie dies dazu führen kann, seine Selbstbestimmung zu verlieren. Die Abhängigkeit Thiels ist mehrfach vorhanden. Nicht nur zu seiner ersten Frau Minna, der er in seinen Tagträumen begegnet, sondern auch zu Lene, die ihn komplett dominiert. Ausgelöst durch wachsende Schuldgefühle gegenüber Minna und Tobias plötzlichen Tod verwandelt sich der brave, freundliche Mann in einen mehrfachen Mörder.
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